Die Wahrheit als Moderatorin
Wahrheit: „Es ist an der Zeit einzuschreiten. Es kommt weder dem Verstand noch der Seele allein zu, über das Verhältnis von Wissen und Glauben zu entscheiden.
Schon die Philosophen zu Beginn der abendländischen Kultur erkennen dieses Problem. Sie bestimmen den Menschen deshalb nicht weder als mit Verstand begabten noch als mit Seele ausgestatteten Lebewesen.
Statt dessen wählen sie das Wort „Vernunft“ als das Vermögen Bilder-Leben zu formen und Bild-Erleben zu gestalten. Sie nennen diese Einheit „logos“ (λόγος) und verstehen darunter „Bilderleben“, also das gleichzeitige Formen der Fantasie und Gestalten des Verstandes.
Sie unterscheiden nicht zwischen Glauben und Wissen, sondern sehen im Denken die Aufgabe, für den Menschen anstelle der Religionen Daseinsorientie-rungen zu schaffen.
Ich schlage deshalb vor, auf den Streit zwischen Glauben und Wissen zu verzichten. Einigt euch vielmehr auf die Duplizität von Logik der Fantasie!“
Verstand: „Verstand als ‚Ordnen der Fantasie’, das ist eine Bestimmung, die ich gut annehmen kann!“
Seele: „Vernunft als Einheit von Verstand und Seele scheint auch mir für mich eine hilfreiche Bestimmung zu sein!“
Verstand: „Somit zerfällt die Dreiheit Körper, Seele, Geist zur Einheit von Körper und Vernunft! Verstand und Seele sind nicht für sich selbständig, sondern wechselseitig voneinander abhängig!“
Wahrheit: „Folgerichtig wandelt sich der Dialog von Seele und Verstand zum Zwiegespräch zwischen Wahrheit und Vernunft!“
wfschmid - 27. Februar, 03:27
3 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
Denker (Gast) - 27. Februar, 10:45
What do you think...
The Unseen Observer
Bemerkenswerterweise gibt es in dem Film "Killing Zoe" eine Szene, in der Roger Avary, der den Film nicht nur geschrieben, sondern auch Regie geführt hat, darauf verweist, wie (der) Film verstanden werden sollte, analogisch, als Zeichen:
In der Nacht vor dem großen Überfall erzählt Oliver, einer der Beteiligten, seine Star Trek Interpretation:
„You have to look at the Starship Enterprise as a metaphor for the human brain. Spock is the right hemisphere of the brain, all logic and intellect. Mc Coy is the left hemisphere, strictly emotional. And Kirk is the unseen observer. He drifts between the two.“ (…)
Wer zum Teufel, hätte ich gern Oliver resp. Roger Avary gefragt, ist „Kirk“?
Die Antwort, die einem braven Filmkonsumenten dazu im Jahre 2015 einfallen könnte, läge in einem Verweis auf Peter Docters Alles Steht Kopf.
Der Film erzählt die Geschichte eines elfjährigen Mädchens und spielt vor allem in ihrem Kopf. Die Fünf grundlegenden Emotionen des Menschen sind personifiziert und steuern ihr Verhalten. Das Ganze ist auf unterhaltsame Weise lehrreich. - Aber das trifft es nicht, denn der ungesehene Beobachter, das Ich, kommt in Docters Film sichtlich nicht vor, was daran liegen mag, dass die Neurowissenschaft, deren Resultate Docters Film illustriert, die Existenz eines Ichs, das mehr wäre als die bloße Summe der interagierenden Emotionen, nicht kennt. Nichtsdestotrotz lässt „Kirk“ sich gleichsam einkreisen. Dazu müssen wir uns zunächst an einige zentrale Komponenten der strukturalen Theorie erinnern. Frei nach Giles Deleuze, Woran erkennt man den Strukturalismus, das Folgende:
1. Es gibt keine Strukturen außerhalb von Sprache.
Nehmen wir an, die Welt, die der Mensch vorfindet und in die er verändernd eingreifen kann, sei die Realität. Dann kann von „eingreifen“ erst die Rede sein, wenn Selbstbewusstsein vorhanden ist. (Der Affe greift nicht ein, er ist ausschließlich Teil des Ökosystems.)
Bewusstsein ist sprachlich. Sprache ist Strukturell. Deshalb geht die Sprache dem Menschen voraus. Sie ist immer schon da, wenn der Mensch (s)einen Ort in der Struktur einnimmt. Alles, was wir erkennen, erkannt haben und je erkennen werden, ist innerhalb von Sprache, es gibt kein Denken jenseits sprachlicher Strukturen. Und somit ist auch alles Erkennen & Erkannte struktural.
Vorsprachlich (ohne Selbstbewusstsein) sind wir als bloße Natur mit uns selbst im reinen und in diesem Sinne „ganz“ oder „heil“. Diese Einheitlichkeit wird durch die Einschreibung via Sprache in die Strukturen der symbolischen Ordnung zerrissen. Aber die Sehnsucht nach „Gänze“ bleibt und setzt das Begehren in Gang und konstituiert die Imagination.
2. Die Strukturen bestehen aus Orten, die den Elementen, die sie einnehmen, vorausgehen.
In diesem Sinne ist die Struktur das Subjekt! - Sie geht den Subjekten gleichsam voraus, die Subjekte folgen ihr. Dieser Automatismus („ich denke, wo ich nicht“ bin, J. Lacan) ist aber nur insofern notwendig, als die Subjekte einen vorausbestehenden Ort einnehmen müssen. Die offensichtliche Tatsache, dass sie sich dessen bewusst werden können, dass sie überhaupt in diesem Zusammenhang von Automatismus sprechen können, birgt die Möglichkeit, dem Automatismus zu „entkommen“, in dem sie Einfluss darauf gewinnen. Allerdings müssen die Subjekte andererseits von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen. Im Gegenteil, sie tun es in der Regel nicht und so kann sich eine Tendenz dominant durchsetzen, die, wie Foucault es so schön ausgedrückt hat, zum Verschwinden des Menschen führt, wie ein Gesicht, das man am Meer in den Sand malt.
3. Die Strukturen sind virtuell.
Die Struktur ist weder real noch imaginär sie ist das notwendige Dritte; und so wie es neben Materie und Energie als selbständiges Drittes die Information gibt, oder so wie die virtuelle Welt weder die wirkliche, nicht-virtuelle Welt ist, noch eine Imagination, ist sie eigenständig.
4. Die Strukturen haben einen leeren Ort und brauchen ein Objekt-X
Ohne den leeren Ort gäbe es keine Bewegungen. (So, wie man auf einem Schachbrett, auf dem jedes Feld belegt ist, nichts bewegen und verschieben könnte).
Das Objekt-X ist das Symbol dieses leeren Ortes, es hält alle Strukturen zusammen und in Bewegung. Es lässt sich bestimmen und beschreiben, aber nicht zuordnen, es entzieht sich ständig: „Es hat die Eigenschaft nicht dort zu sein, wo man es sucht aber dafür auch gefunden zu werden, wo es nicht ist“ (Deleuze, S. 44)
Abstrakt besehen gibt es nur eine einzige Struktur: Sprache. „Die Sprache“? - Jede Struktur realisiert eine Auswahl aller möglichen Elemente: „Es gibt keine totale Sprache, die alle möglichen Phoneme und phonematischen Verhältnisse verkörpert (…) Es gibt keine totale Gesellschaft, sondern jede Gesellschaftsform verkörpert gewisse Elemente.“ (Deleuze, S. 28-29) Man kann sich „die Struktur“ mit Blick auf den wundervollen, alten Epikur so vorstellen, wie der sich die Welt als atomar Zusammengesetztes gedacht hat: aus einer unzählbaren Anzahl an vorhandenen Elementen realisiert sich, durch Kombination, eine große, endliche Anzahl an Strukturen.
Die Leerstelle ist gleich
Um letzte Fragen soll es hier nicht gehen, da Glaubensfragen, so sie sich antagonistisch gegenüberstehen, logischerweise nicht diskursfähig sind. Warum das so ist, soll kurz erklärt werden:
Jede Regel bedarf zwingend der Ausnahme, die sie bestätigt, ansonsten wäre sie als Regel nicht zu erkennen. Da auch jede Sprache, jedes System Regelwerk ist, muss es die Leerstelle geben, die eine, buchstäbliche Ausnahme, ohne die das Ganze nicht funktionieren würde. (Kurt Gödel hat mathematisch nachgewiesen, dass ein axiomatisches System niemals allein auf sich selbst beruhen kann. Um sich als konsistent zu erweisen braucht es Aussagen von außerhalb.)
Diese Ausnahme ist klassischerweise Gott bzw. „Kirk“ („the unseen observer“).
So gesehen ist Gott („Kirk“) notwendiger Bestandteil der Struktur. Ob es ihn gibt oder nicht gibt, ist egal, da „die Struktur“ auch funktioniert, wenn sie lediglich so tut, als gäbe es Gott. In diesem Sinne ist auch das jüdische Bonmot zu verstehen, dass es gleichgültig sei, ob es Gott gebe oder nicht, Hauptsache man glaube an ihn.
Selbst wenn ein genialer Physiker die „Weltformel“ fände oder das Universum komplett vor- und zurückberechnet werden könnte, bliebe immer die Frage offen, woher diese Formel gekommen, bzw. was denn vor dem Urknall gewesen sei. Diese Unauflöslichkeit basiert auf der Tatsache, dass wir immer nur innerhalb einer sprachlichen Struktur kommunizieren und denken können, auch über die Struktur kommunizieren wir immer nur mit Sprache. Oder anders gesagt: Wir erkennen die Ausnahme (Gott) als notwendigen Bestandteil des Systems, indem wir uns eines Systems bedienen, das ebenfalls notwendigerweise eine Ausnahme/Leerstelle haben muss („Kirk“) – und wenn wir dann so tun, als gäbe es diese Ausnahme nicht, dann sind wir an dieser Stelle „gläubig“.
Und so glauben wir, dass es Gott gibt oder wir glauben, dass es ihn nicht gibt oder wir glauben, dass es egal ist, ob es ihn gibt oder nicht gibt.
Wenn wir im Bild des Schachbrettmusters bleiben, können wir sagen, dass wir etwas feststellen, in dem wir die Leerstelle besetzen: Ich besetze die Leerstelle und stelle fest, was meine Ansicht ist. Wir besetzen natürlich dauernd alle möglichen Leerstellen und stellen fest. Und wenn wir dann unberücksichtigt lassen, dass „Kirk“ es ist, der die Leerstelle eingenommen hat, kommen wir zu objektiven Erkenntnissen. Dass solcherlei Erkenntnisse funktionieren, etwa (natur)wissenschaftliche, bedeutet aber keineswegs, dass sie „objektiv“ wären, sondern lediglich, dass sie funktionieren ohne endgültig verstanden worden zu sein. Die Position, die „Kirk“ einnimmt, spielt eine entscheidende Rolle. (So wie in der Quantenphysik die Position des Beobachters eine entscheidende Rolle spielt, Schrödingers Katze.)
Aber auch wenn „Kirk“ die Leerstellen nicht besetzt, sondern die Zeichen auf dem Schachbrett verschiebt, ist er als in dem Moment denkend Aktiver zugleich innerhalb der Struktur (als der Strukturlogik Unterworfener) und zugleich außerhalb der Struktur (als Aktiver, der die Zeichen auf dem Schachbrett verschiebt). Kurz gesagt, es ist egal, ob „Kirk“ Gott ist oder ob „Kirk“ wie GOTT ist!
Es wäre lediglich hilfreich für das Überleben der Spezies, wenn wir nicht an entscheidenden Stellen so tun würden, als gäbe es kein „Ich“. Die Neurologen, die das glauben, stellen es nämlich im gerade ausgeführten Sinne „nur“ tatsächlich fest! (Sie können nur feststellen, dass es kein „Ich“ gibt, weil sie „vergessen“, dass es ein Ich ist, dass feststellt, dass es kein „Ich“ gibt.)
Comander Kirk, das Ich, das Bewusstsein, ist die Leerstelle! „Kirk“ ist das Objekt-X schlechthin. Es lässt sich nicht fassen, weil es zum einen ein Ort innerhalb der Struktur ist, die uns vorausgeht, ein Ort, der also schon da war, bevor wir dazugekommen sind; und zum anderen sind wir es zugleich im Sinne des „ich bin, wo ich nicht denke“ von J. Lacan.
Die Autoren der Bibel behaupten, dass die Struktur Gott sei: „Im Anfang war das Wort“ (also Sprache). Und wenn sie Jesus den Satz zuschreiben: „Ich bin der Ich bin“, dann ist das die alttestamentarische Ebenbildlehre, denn demnach ist das Ich (wie) Gott. (Der virtuelle Ort „Ich“ in der Struktur, der uns vorausgeht, ist Gott, das Subjekt, das ihn aufsucht, wenn es Ich sagt, ist wie Gott).
Erkenntnistheoretisch ist es egal, ob WIR Gott sind oder ob wir wie GOTT sind, das Geheimnis des Bewusstseins liegt in der Tatsache, dass das Objekt-X, das alle Strukturen zusammenhält, verschiebt und aktualisiert, „Ich“ ist. - Und wenn „ich denke, wo ich nicht bin“ (Lacan), dann kann ich als Neurologe auch kein „Ich“ finden. Das heißt aber nicht, dass da, „wo ich bin“ (Lacan), keins vorhanden ist, es heißt lediglich, dass ich mein Denken beim Denken nicht zugleich bedenken kann.
Giles Deleuze, Woran erkennt man den Strukturalismus, Berlin, 1992
Bemerkenswerterweise gibt es in dem Film "Killing Zoe" eine Szene, in der Roger Avary, der den Film nicht nur geschrieben, sondern auch Regie geführt hat, darauf verweist, wie (der) Film verstanden werden sollte, analogisch, als Zeichen:
In der Nacht vor dem großen Überfall erzählt Oliver, einer der Beteiligten, seine Star Trek Interpretation:
„You have to look at the Starship Enterprise as a metaphor for the human brain. Spock is the right hemisphere of the brain, all logic and intellect. Mc Coy is the left hemisphere, strictly emotional. And Kirk is the unseen observer. He drifts between the two.“ (…)
Wer zum Teufel, hätte ich gern Oliver resp. Roger Avary gefragt, ist „Kirk“?
Die Antwort, die einem braven Filmkonsumenten dazu im Jahre 2015 einfallen könnte, läge in einem Verweis auf Peter Docters Alles Steht Kopf.
Der Film erzählt die Geschichte eines elfjährigen Mädchens und spielt vor allem in ihrem Kopf. Die Fünf grundlegenden Emotionen des Menschen sind personifiziert und steuern ihr Verhalten. Das Ganze ist auf unterhaltsame Weise lehrreich. - Aber das trifft es nicht, denn der ungesehene Beobachter, das Ich, kommt in Docters Film sichtlich nicht vor, was daran liegen mag, dass die Neurowissenschaft, deren Resultate Docters Film illustriert, die Existenz eines Ichs, das mehr wäre als die bloße Summe der interagierenden Emotionen, nicht kennt. Nichtsdestotrotz lässt „Kirk“ sich gleichsam einkreisen. Dazu müssen wir uns zunächst an einige zentrale Komponenten der strukturalen Theorie erinnern. Frei nach Giles Deleuze, Woran erkennt man den Strukturalismus, das Folgende:
1. Es gibt keine Strukturen außerhalb von Sprache.
Nehmen wir an, die Welt, die der Mensch vorfindet und in die er verändernd eingreifen kann, sei die Realität. Dann kann von „eingreifen“ erst die Rede sein, wenn Selbstbewusstsein vorhanden ist. (Der Affe greift nicht ein, er ist ausschließlich Teil des Ökosystems.)
Bewusstsein ist sprachlich. Sprache ist Strukturell. Deshalb geht die Sprache dem Menschen voraus. Sie ist immer schon da, wenn der Mensch (s)einen Ort in der Struktur einnimmt. Alles, was wir erkennen, erkannt haben und je erkennen werden, ist innerhalb von Sprache, es gibt kein Denken jenseits sprachlicher Strukturen. Und somit ist auch alles Erkennen & Erkannte struktural.
Vorsprachlich (ohne Selbstbewusstsein) sind wir als bloße Natur mit uns selbst im reinen und in diesem Sinne „ganz“ oder „heil“. Diese Einheitlichkeit wird durch die Einschreibung via Sprache in die Strukturen der symbolischen Ordnung zerrissen. Aber die Sehnsucht nach „Gänze“ bleibt und setzt das Begehren in Gang und konstituiert die Imagination.
2. Die Strukturen bestehen aus Orten, die den Elementen, die sie einnehmen, vorausgehen.
In diesem Sinne ist die Struktur das Subjekt! - Sie geht den Subjekten gleichsam voraus, die Subjekte folgen ihr. Dieser Automatismus („ich denke, wo ich nicht“ bin, J. Lacan) ist aber nur insofern notwendig, als die Subjekte einen vorausbestehenden Ort einnehmen müssen. Die offensichtliche Tatsache, dass sie sich dessen bewusst werden können, dass sie überhaupt in diesem Zusammenhang von Automatismus sprechen können, birgt die Möglichkeit, dem Automatismus zu „entkommen“, in dem sie Einfluss darauf gewinnen. Allerdings müssen die Subjekte andererseits von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen. Im Gegenteil, sie tun es in der Regel nicht und so kann sich eine Tendenz dominant durchsetzen, die, wie Foucault es so schön ausgedrückt hat, zum Verschwinden des Menschen führt, wie ein Gesicht, das man am Meer in den Sand malt.
3. Die Strukturen sind virtuell.
Die Struktur ist weder real noch imaginär sie ist das notwendige Dritte; und so wie es neben Materie und Energie als selbständiges Drittes die Information gibt, oder so wie die virtuelle Welt weder die wirkliche, nicht-virtuelle Welt ist, noch eine Imagination, ist sie eigenständig.
4. Die Strukturen haben einen leeren Ort und brauchen ein Objekt-X
Ohne den leeren Ort gäbe es keine Bewegungen. (So, wie man auf einem Schachbrett, auf dem jedes Feld belegt ist, nichts bewegen und verschieben könnte).
Das Objekt-X ist das Symbol dieses leeren Ortes, es hält alle Strukturen zusammen und in Bewegung. Es lässt sich bestimmen und beschreiben, aber nicht zuordnen, es entzieht sich ständig: „Es hat die Eigenschaft nicht dort zu sein, wo man es sucht aber dafür auch gefunden zu werden, wo es nicht ist“ (Deleuze, S. 44)
Abstrakt besehen gibt es nur eine einzige Struktur: Sprache. „Die Sprache“? - Jede Struktur realisiert eine Auswahl aller möglichen Elemente: „Es gibt keine totale Sprache, die alle möglichen Phoneme und phonematischen Verhältnisse verkörpert (…) Es gibt keine totale Gesellschaft, sondern jede Gesellschaftsform verkörpert gewisse Elemente.“ (Deleuze, S. 28-29) Man kann sich „die Struktur“ mit Blick auf den wundervollen, alten Epikur so vorstellen, wie der sich die Welt als atomar Zusammengesetztes gedacht hat: aus einer unzählbaren Anzahl an vorhandenen Elementen realisiert sich, durch Kombination, eine große, endliche Anzahl an Strukturen.
Die Leerstelle ist gleich
Um letzte Fragen soll es hier nicht gehen, da Glaubensfragen, so sie sich antagonistisch gegenüberstehen, logischerweise nicht diskursfähig sind. Warum das so ist, soll kurz erklärt werden:
Jede Regel bedarf zwingend der Ausnahme, die sie bestätigt, ansonsten wäre sie als Regel nicht zu erkennen. Da auch jede Sprache, jedes System Regelwerk ist, muss es die Leerstelle geben, die eine, buchstäbliche Ausnahme, ohne die das Ganze nicht funktionieren würde. (Kurt Gödel hat mathematisch nachgewiesen, dass ein axiomatisches System niemals allein auf sich selbst beruhen kann. Um sich als konsistent zu erweisen braucht es Aussagen von außerhalb.)
Diese Ausnahme ist klassischerweise Gott bzw. „Kirk“ („the unseen observer“).
So gesehen ist Gott („Kirk“) notwendiger Bestandteil der Struktur. Ob es ihn gibt oder nicht gibt, ist egal, da „die Struktur“ auch funktioniert, wenn sie lediglich so tut, als gäbe es Gott. In diesem Sinne ist auch das jüdische Bonmot zu verstehen, dass es gleichgültig sei, ob es Gott gebe oder nicht, Hauptsache man glaube an ihn.
Selbst wenn ein genialer Physiker die „Weltformel“ fände oder das Universum komplett vor- und zurückberechnet werden könnte, bliebe immer die Frage offen, woher diese Formel gekommen, bzw. was denn vor dem Urknall gewesen sei. Diese Unauflöslichkeit basiert auf der Tatsache, dass wir immer nur innerhalb einer sprachlichen Struktur kommunizieren und denken können, auch über die Struktur kommunizieren wir immer nur mit Sprache. Oder anders gesagt: Wir erkennen die Ausnahme (Gott) als notwendigen Bestandteil des Systems, indem wir uns eines Systems bedienen, das ebenfalls notwendigerweise eine Ausnahme/Leerstelle haben muss („Kirk“) – und wenn wir dann so tun, als gäbe es diese Ausnahme nicht, dann sind wir an dieser Stelle „gläubig“.
Und so glauben wir, dass es Gott gibt oder wir glauben, dass es ihn nicht gibt oder wir glauben, dass es egal ist, ob es ihn gibt oder nicht gibt.
Wenn wir im Bild des Schachbrettmusters bleiben, können wir sagen, dass wir etwas feststellen, in dem wir die Leerstelle besetzen: Ich besetze die Leerstelle und stelle fest, was meine Ansicht ist. Wir besetzen natürlich dauernd alle möglichen Leerstellen und stellen fest. Und wenn wir dann unberücksichtigt lassen, dass „Kirk“ es ist, der die Leerstelle eingenommen hat, kommen wir zu objektiven Erkenntnissen. Dass solcherlei Erkenntnisse funktionieren, etwa (natur)wissenschaftliche, bedeutet aber keineswegs, dass sie „objektiv“ wären, sondern lediglich, dass sie funktionieren ohne endgültig verstanden worden zu sein. Die Position, die „Kirk“ einnimmt, spielt eine entscheidende Rolle. (So wie in der Quantenphysik die Position des Beobachters eine entscheidende Rolle spielt, Schrödingers Katze.)
Aber auch wenn „Kirk“ die Leerstellen nicht besetzt, sondern die Zeichen auf dem Schachbrett verschiebt, ist er als in dem Moment denkend Aktiver zugleich innerhalb der Struktur (als der Strukturlogik Unterworfener) und zugleich außerhalb der Struktur (als Aktiver, der die Zeichen auf dem Schachbrett verschiebt). Kurz gesagt, es ist egal, ob „Kirk“ Gott ist oder ob „Kirk“ wie GOTT ist!
Es wäre lediglich hilfreich für das Überleben der Spezies, wenn wir nicht an entscheidenden Stellen so tun würden, als gäbe es kein „Ich“. Die Neurologen, die das glauben, stellen es nämlich im gerade ausgeführten Sinne „nur“ tatsächlich fest! (Sie können nur feststellen, dass es kein „Ich“ gibt, weil sie „vergessen“, dass es ein Ich ist, dass feststellt, dass es kein „Ich“ gibt.)
Comander Kirk, das Ich, das Bewusstsein, ist die Leerstelle! „Kirk“ ist das Objekt-X schlechthin. Es lässt sich nicht fassen, weil es zum einen ein Ort innerhalb der Struktur ist, die uns vorausgeht, ein Ort, der also schon da war, bevor wir dazugekommen sind; und zum anderen sind wir es zugleich im Sinne des „ich bin, wo ich nicht denke“ von J. Lacan.
Die Autoren der Bibel behaupten, dass die Struktur Gott sei: „Im Anfang war das Wort“ (also Sprache). Und wenn sie Jesus den Satz zuschreiben: „Ich bin der Ich bin“, dann ist das die alttestamentarische Ebenbildlehre, denn demnach ist das Ich (wie) Gott. (Der virtuelle Ort „Ich“ in der Struktur, der uns vorausgeht, ist Gott, das Subjekt, das ihn aufsucht, wenn es Ich sagt, ist wie Gott).
Erkenntnistheoretisch ist es egal, ob WIR Gott sind oder ob wir wie GOTT sind, das Geheimnis des Bewusstseins liegt in der Tatsache, dass das Objekt-X, das alle Strukturen zusammenhält, verschiebt und aktualisiert, „Ich“ ist. - Und wenn „ich denke, wo ich nicht bin“ (Lacan), dann kann ich als Neurologe auch kein „Ich“ finden. Das heißt aber nicht, dass da, „wo ich bin“ (Lacan), keins vorhanden ist, es heißt lediglich, dass ich mein Denken beim Denken nicht zugleich bedenken kann.
Giles Deleuze, Woran erkennt man den Strukturalismus, Berlin, 1992
wfschmid - 28. Februar, 03:07
Interessanter Beitrag
Dieser komplementäre Beitrag setzt allerdings voraus, dass man sich mit Gödels Unvollständigkeitsetzen beschäftigt hat.
Danke für diesen Beitrag!
Danke für diesen Beitrag!
Denkerin (Gast) - 28. Februar, 13:43
Also, jein: den Gödel muss man nun wirklich nicht studieren, um hinter den „interessanten“ „Beitrag“ zu kommen... (Thnx by the way.)
Aber Sie haben trotzdem recht, weil es sich um einen gleichsam unfertigen Beitrag handelt... D.h. nicht, dass er nicht gut zu ende gedacht wäre, sondern eher, dass er unzureichend ausformuliert ist. (Und da ist es mehr als höflich und verständlich, wenn Sie zunächst mal auf Gödel verweisen.)
Erlaubt habe ich mir den Beitrag in dieser Form, als Kommentar, weil ich denke, dass er durchaus weiterführend sein kann, was den Gesamtkomplex betrifft, mit dem sie sich gerade beschäftigen. (Für mich ist das in gewisser Weise ein alter Hut. Nicht weil ich denke, dass Ihre Thematik unzeitgemäß wäre (oder so), sondern vielmehr, weil ich weit hinter ihren (Auto)Diskurs zurückgefallen bin. (Und das spricht wohl eher nicht für mich...) - Und weil ich nachempfinden kann, was in Ihnen vorgeht – und ehrlich: das zeugt durchaus von Größe! -, deshalb habe ich den Kommentar eingefügt... (Vielleicht muss man ihn mehrmals lesen, um seiner Wirksamkeit auf die Spur zu kommen.)
Aber Sie haben trotzdem recht, weil es sich um einen gleichsam unfertigen Beitrag handelt... D.h. nicht, dass er nicht gut zu ende gedacht wäre, sondern eher, dass er unzureichend ausformuliert ist. (Und da ist es mehr als höflich und verständlich, wenn Sie zunächst mal auf Gödel verweisen.)
Erlaubt habe ich mir den Beitrag in dieser Form, als Kommentar, weil ich denke, dass er durchaus weiterführend sein kann, was den Gesamtkomplex betrifft, mit dem sie sich gerade beschäftigen. (Für mich ist das in gewisser Weise ein alter Hut. Nicht weil ich denke, dass Ihre Thematik unzeitgemäß wäre (oder so), sondern vielmehr, weil ich weit hinter ihren (Auto)Diskurs zurückgefallen bin. (Und das spricht wohl eher nicht für mich...) - Und weil ich nachempfinden kann, was in Ihnen vorgeht – und ehrlich: das zeugt durchaus von Größe! -, deshalb habe ich den Kommentar eingefügt... (Vielleicht muss man ihn mehrmals lesen, um seiner Wirksamkeit auf die Spur zu kommen.)
Trackback URL:
https://wolfgangschmid.twoday-test.net/stories/1022549195/modTrackback