25
Feb
2016

Exkursion ins Nichts


Verstand: „Als Bilderleben erfährt das Denken Schwierigkeiten, sobald es an die Grenzen der Veranschaulichung stößt. Jenseits dieser Grenzen beginnt das Theoretisieren, d. i. das Schauen des noch nicht Seins.
Sobald diese Grenzen überschritten werden, verlässt man die Wirklichkeit. Das unmittelbare Dasein entzieht sich. Die Mittelbarkeit des Ermöglichens beginnt und Räume lösen sich auf. Zeiten erscheinen nur noch vage als zweiseitig offener Pfeil des Ordnens inmitten eines Jetzt. Diesem Moment sind die Vergangenheit vor- und die Zukunft nachgeordnet. Folgt man diesem Zeitpfeil in Richtung Zukunft, dann erreicht man mögliche Wirklichkeiten. Indem das Seiende mögliche Wirklichkeiten seiner Vergangenheit schaut, erkennt es die Versäumnisse für seine Zukunft. Dieser Mangel wird im hochbewussten Zustand im Augenblick jederzeit erfahren.
Aus solchem Mangel erwachsen durchaus nicht selten schöpferische Ideen als Blick in zukünftig Mögliches.“

Seele: „Das, was Du schaust, ist eigentlich nicht sichtbar! Erkläre mir also, welcher Art dieses Schauen ist!“

Verstand: „Ja, ich sehe was, das Du nicht siehst!
Dieses Sehen wird ‚Fantasieren’ genannt. Fantasie ersetzt wirkliches Sein durch möglichen Schein! Ich nehme an, dass hierfür entsprechende Begabung erforderlich ist. Diese Begabung projiziert ins Be-wusstsein nicht wirkliches, sondern mögliches Bil-derleben. Aus Bilder-Leben kann sich eine Theorie entwickeln und aus Bild-Erleben eine Methode.“

Seele: „Das Nichts ist nicht mehr als mein Fantasie-produkt!
Ich nämlich bin es, die Dir diese Ideen eingibt. Und naturwissenschaftliche Theorien entstammen letztlich alle sämtlich meiner weiblichen Intuition. Das Schöpferische ist insgesamt wesentlich mir der Seele zu eigen. Eines, was meine Fantasie in Dir schafft, das vermagst Du zu beweisen und somit zu wissen, Anderes musst Du glauben!“

Verstand: „Wenn Einsteins Theorie der Relativitäts-theorie genau so intuitiv entstanden ist wie der Glaube an die Existenz Gottes, dann beweisen Naturwissenschaften letztlich auch die essentielle Qualität des Glaubens! Ich bin beeindruckt!“

Seele: „Die Existenz von Gravitationswellen kannst Du beweisen, die Existenz Gottes aber entzieht sich bislang Deiner Beweiskraft!“

Verstand: „Intuition schafft gleichsam aus dem Nicht. Die schöpferische Kraft der Kraft ist gleichsam göttlich und insofern Wegmarke auf der Suche nach Gott. Ich verstehe, obgleich es unbeweisbar ist!“

Seele: „Ich sehe, Du machst Fortschritte!“

Verstand: „Noch mehr, wenn Du mir weiter hilfst!

Seele: „Sobald Sein ins Nichts wechselt, wandelt sich Denken in abstrahierende Fantasie. Sobald Du das Haus des Seins verlässt, fällst Du aus deinen Wirklichkeiten in deren Möglichkeiten. Diese möglichen Wirklichkeiten werden von wirklichen Möglichkeiten angezogen, um von möglichen Möglichkeiten angezogen zu werden. Intuition bildet gleichsam ei-nen Tunnel von wirklicher Gegenwart zum gespiel-ten Augenblick, der als kairós als erspielter Zufall zum Vorschein gelangt. Mit Hilfe dieses Tunnelns gelangt intuitives Denken in Kontakt zu Gewese-nem. Das ist zwar klar, aber vollkommen unklar, auf welche Art und Weise das geschehen kann!
Das ich das Gewesene im Nichts befindet, ist es von reinem Geist a priori, folglich für vernunftbegabte Wesen nicht mehr unmittelbar erreichbar. Ich schließe nicht aus, dass eine intuitives mittelbares Erreichen möglich ist, wenngleich rational sehr schwer deutbar!“

Seele: „Wie wir bei der Eingebung von Ideen zu-sammenarbeiten, so wird das bei Intuitionen auch von uns verlangt. Als Beispiel wähle ich das merk-würdige Phänomen vom Stehenbleiben der neuen Armbanduhr.
Genau zu ihrem Todeszeitpunkt bleibt Ulrikes neue Armbanduhr stehen! Intuitiv deute ich das als ein Zeichen, das sie mir geben will! Was sagst Du dazu?“

Verstand: „Dieses Zeichen ist für einen Uhrenfan bestimmt. Es ist unwahrscheinlich, dass eine neue Uhr mit neuer Batterie zu einem solchen Zeitpunkt stehen bleibt. Dennoch kann es sich um eine zufällige technische Störung handeln. Deine Intuition deutet diesen Zufall als von der Sterbenden herbeigeführt, um ein Zeichen zu geben. Kann sein, aber eben nicht überprüfbar!“

Seele: „Und wenn es mehrere vergleichbare Zeichen gibt?“

Verstand: „Dann wächst zwar die Wahrscheinlich-keit, dass Deine Zeichendeutung zutrifft, aber den Mangel fehlender Überprüfbarkeit behebt das nicht!“

Seele: „Für mich stellt das keinen Mangel dar, weil ich meiner Intuitionen sicher bin! Glauben genügt mir!“

Verstand: „Jeder glaubt seinen Projektionen!“


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Wolfgang F.A. Schmid

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