29
Mrz
2020

DENKEN ENTDECKEN

Die kindliche Entwicklung wird durch Erziehung und Bildung maßgeblich bestimmt. Alles, was wir sind, das sind wir durch Erziehung und Bildung.

Erziehen bedeutet das Vermögen, nicht nur die Fähigkeiten eines Menschen herausfinden zu können, sondern auch, diese Fähigkeiten durch Fordern zu fördern.

Bilden dagegen ist die Wirkung eines Vorbildes auf die menschliche Entwicklung. Will man sich die eigene Bildung vergegenwärtigen, dann sollte man sich an jene Vorbilder erinnern, denen man nacheiferte. Es sind besondere Eigenschaften vorbildlicher Menschen, die uns beeindrucken und die wir nachzuahmen versuchen.

Das geschieht bei jungen Menschen in der Regel zunächst vorwiegend unbewusst. Erst später werden Vorbildfunktionen bewusst und als Verhaltensstrategien adaptiert.

Obwohl alle davon überzeugt sind zu denken, vermag doch kaum jemand zu erklären, was er eigentlich tut, wenn er denkt.

Akademisch gebildete Leute reden sich gewöhnlich damit heraus, dass sie behaupten, Denken sei zu komplex und zu kompliziert, um es einfach erklären zu können. Es ist zu befürchrn, die meisten von jenen, welche das behaupten, können auch nicht sagen, was sie meinen, wenn sie von komplex und kompliziert reden.

Sehr wahrscheinlich muss das Denken erst gelernt werden, um es verstehen zu können. Häufig hören Kinder, die ihre Eltern etwas fragen möchten, dass sie gerade stören, weil Mutter oder Vater nachdenken muss. Aus Erfahrung wissen sie bereits, dass es dann ganz offensichtlich um eine wichtige Angelegenheit geht, Manchmal bekommen sie sogar gesagt, worüber so angestrengt nachgedacht wird. Vielleicht sagen sie, dass sie gerade darüber nachdenken, ob etwas Teures wirklich angeschafft werden muss.

Aufmerksame Kinder erfahren Nachdenken als ein an-strengendes Beschäftigen mit etwas. Nicht von ungefähr wird auch von „sich das Hirn zermartern’ oder „sich den Kopf zerbrechen“ gesprochen.

Aber Kinder erfahren meistens nicht, was genau da vor sich geht und auch nicht, warum dieses so anstrengend sein soll.
So wird ihnen auch nicht klar, dass es ihre Neugier ist, die in ihnen Denken in Gang setzt.

Sie tun schlichtweg das, was Denken spontan in Gang setzt: sie fragen, um das zu erfahren, was ihnen wichtig ist.

Bisweilen ist eine Frage so bohrend, das hartnäckige Kinder nicht lockerlassen. Bleibt dennoch eine zufriedenstellende Antwort aus, dann versuchen sie selbst, das herauszufinden, wonach sie eigentlich fragten.

So wollte oder konnte unser blinder Vater nicht erklären, was Blindsein eigentlich bedeutet und wie es möglich ist, sich zurechtzufinden. Unser Vater bewegte sich nämlich zu Hause und in vertrauter Umgebung so, dass manche Nachbarn sogar an seiner Blindheit zweifelten und Rentenbetrug vermuteten.

Meine Schwester und ich bewegten uns häufig mit geschlossenen Augen durch die Wohnung, bis wir gegen etwas liefen oder darüber stolperten. Erfahren über Blindheit haben wir selbstverständlich durch diese unsere Gehversuche nichts. Denken erstickte in Fragen, die keine Antworten lieferten. Also fragten wir auch nicht mehr nach und Blindsein wurde für uns Kinder gleichsam zu einer fraglos alltäglichen Selbst-verständlichkeit.

Die ersten Anfänge des Denkens zeigen sich in uner-müdlichem kindlichem Fragen. Fragen zeigen auf-der- Suche-Sein an. Das Kind will fragend seine Umgebung entdecken. Was es nicht sprachlich klären kann, das versucht es für sich zeichnerisch klar zu machen. Kinderzeichnungen sind nicht nur frühe Veranschaulichen erster Gedanken, sondern zugleich auch Ausdruck von Bedürfnissen oder Stimmungen.

Ein Mädchen, das die erste Klasse in der Grundschule besucht, antwortete mir auf meine Frage, was es tut, wenn es denkt: „Ich male Bilder im Kopf!“. Dieses Kind nannte Denken einen künstlerischen Vorgang, der sich nur im Kopf abspielt.

Tatsächlich war in den Anfängen Abendländischen Denkens für die ersten Philosophen Denken vor allem „aisthesis“ (αἴσθησις), innere Wahrnehmung von Bildern, und „Ästhetik“ war der Name für die Kunst innerer Wahrnehmung und zugleich „τέχνη“ (Technik ihrer Veranschaulichung). Die ältesten Höhlenmalereien und Skulpturen vor nahezu vierzig Jahrtausenden sind ästhetische Zeugnisse sinnlich vernehmbar gestalteter Gedanken. Alte Gravuren und ockerfarbene Zeich-nungen von Tieren und geometrischen Formen sind gleichsam künstlerisch ins Werk gesetzte Notizen existentieller Refle-xionen.

Die Venus von Willendorf, eine 1908 entdeckte kleine, steinere Venus aus der jüngeren Altsteinzeit ist eine elf Zentimeter hohe Skulptur aus Kalkstein.
„Sie stellt eine nackte, symmetrische Frauenfigur dar. Ein Ge-sicht fehlt. Der Kopf ist groß, trägt eine Frisur oder Kopf-bedeckung und sitzt auf schmalen Schultern. Die Frisur oder Kopfbedeckung wurde durch schräg eingeritzte Striche und horizontale, konzentrische Linien erzeugt. Die Arme sind dünn und liegen auf den schweren Brüsten; sie sind auf beiden Seiten von vertieften Linien umgeben, ebenso die Hände, diese erscheinen so deutlicher hervorgehoben. Die Finger der rechten Hand werden durch lange Einschnitte als voneinander getrennt dargestellt. Einschnitte an den Handgelenken deuten gezackte Armreifen an. Die Brüste sind ebenfalls von Linien umgeben.“
Die Hüften sind stark, der Bauch steht vor, das Gesäß ist aus-geprägt. Brust, Bauch und Schenkel sind durch tiefe, senk-rechte Gravuren modelliert. Den Bauchnabel bildet eine natür-liche Vertiefung des Steins, die auf beiden Seiten erweitert wurde. Die Schenkel sind naturnah gestaltet, allerdings ver-kürzt, die Füße fehlen. Die Grenze zum Gesäß wird durch zwei deutliche Einschnitte gebildet, die nicht geglättet sind. Die Geschlechtsmerkmale sind detailliert dargestellt. Am Oberschenkel ist ein Einschnitt hinterlassen. Farbreste zeigen, dass die Skulptur ursprünglich mit Rötel bedeckt war.“
Sie gilt bislang als älteste plastische Darstellung einer Frau.
Es ist – wie bei allen frühen Frauendarstellungen - eine Dar-stellung der Weiblichkeit an sich, nicht einer individuellen Person.
Dass die Sexualität hier eine große Rolle spielt, ist offen-sichtlich. Die Verbindung zu einem Fruchtbarkeitskult liegt nahe, also auch die Vermutung, dass es sich um eine Frucht-barkeitsgöttin handeln könnte.

Offensichtlich scheint die ästhetische Begabung von Natur aus im Menschen als vernunftbegabtes Lebewesen angelegt.

Ästhetik als gleichsam künstlerisches Gestalten des Bewusst-werdens scheint Denken im zweifachen Sinn als Bilderleben hervor:

1. Bilder-Leben der Fantasie,
2. Bild-Erleben der Vernunft.

Seit 16 Jahren BEGRIFFSKALENDER

Wolfgang F.A. Schmid

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Es gelten die Rechtsvorschriften für Webseiten der Universität Flensburg © Texte: Wolfgang F. Schmid (sofern nicht anders ausgewiesen) wfschmid(at)me.com Bilder: Ulrike Schmid (sofern nicht anders ausgewiesen) mail(at)ulrike-schmid.de

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