Eigensinn
Ist es stur, alles selbst herausfinden zu wollen? Bin ich ein dickköpfiges Kind? Möglicherweise. Jedenfalls habe ich mich so noch nicht gesehen. Erinnerungen gebe mir keine Hinweise auf unnachgiebiges Verhalten.
Tatsächlich erlebe ich mich als trotzig, denn ich habe Schwie-rigkeiten, mich dem Willen anderer zu fügen. Noch heute ha-be ich Probleme, Ansichten anderer einzubeziehen. Das beste Beispiel hierfür ist doch das eigenwillige Reflektieren des Denkens. Warum muss ich das eigentlich unbedingt selbst herausfinden? Ich könnte ja die Geschichte der Philosophie Schritt für Schritt durchgehen, um das zu erfahren, was mir wichtig ist.
Irgendwie ärgert mich gerade dieses Gefühl von Arroganz. Ich empfinde das jedenfalls so. Aber die innere Stimme wi-derspricht und weist mich darauf hin, dass ich eher sehr kri-tisch als arrogant bin. So kann ich es nur sehr schwer ertra-gen, wenn ich etwas nicht verstehe. Genau dann werde ich nämlich stur und gebe nicht nach.
Ich erinnere mich an die ersten Philosophie-Vorlesungen von Professor Karl-Heinz Volkmann-Schluck. Intuitiv faszinierte mich die Trennschärfe seiner Sprache und die große Klarheit seiner Darstellungen. Dennoch fiel es mir sehr schwer, seinen Ausführungen so schnell zu folgen, dass ich sie auch verste-hen konnte.
Als ging ich nach einer Vorlesung zu ihm hin, um ihm meine Unzulänglichkeit, seine Gedanken hinreichend zu verstehen. Nachdem er sich das ruhig angehört hatte, stellte er mir eine höchst erstaunliche Frage: „Ja, aber haben Sie denn keine ei-genen Gedanken?“ Gemeint war, dass uneigene Gedanken durch eigene adaptiert werden müssen, um verstanden zu werden. Ich war erfreut über diese indirekte Bestätigung mei-ner Vorgehensweise. Diese Selbst-Bestätigung wird mittelbar zur Führungsgröße in Bezug auf die Regelung meiner späte-ren beruflichen Tätigkeit. So fiel in meinen Vorlesungen bis-weilen der Schlüsselsatz: „Meine einzige Aufgabe ist es, Euch aufzuwecken!“ Gemeint war die „schlafende Vernunft“. Für die Schulpädagogik bedeutet das: „Steuernde unterrichtlich Vorgaben minimieren – eigene unterrichtliche Initiativen ma-ximieren!“. Dieses Prinzip fand dann die Höchstform seiner Anwendung im Kinderunterricht. Kinder lernen zusammen, indem sie sich gemeinsam mittels professioneller Moderation lehren. Leider fehlte mir der lange Atem, das auch hinrei-chend zu veröffentlichen. Allerdings wurde das durch viele Staatsarbeiten dokumentiert. Die Anwendung des genannten Prinzips fand schließlich auch in Staatsprüfungen Anwendung. Es wurden keine Themen geprüft, sondern das angeschaut, was Kandidaten und Kandidatinnen von sich aus an Fähigkei-ten thematisierten. Zu meiner großen Überraschung fand die-se Verfahrensweise bei Vertretern der maßgeblichen Kultus-abteilungen ein sehr positives Echo.
In der beruflichen Praxis erwies sich als meine ´gewachsene´ Eigenwilligkeit also als außerordentlich hilfreich.
Dennoch, die Frage nach Grund und Ursache solch eigensin-nigen Verhaltens erweist sich nach wie zuvor als unbeantwor-tet. Aber auf Grund der Beschäftigung damit bringt die Erin-nerung etwas zum Vorschein, woran ich nicht gedacht habe. Es ist mein Vater, der aufgrund seiner Behinderung gelernt hatte, sich auf sich selbst verlassen zu müssen, wenn er nicht in Gefahr geraten will.
Das habe ich wohl unbewusst übernommen und mir zueigen gemacht. Überhaupt nehme ich an, dass ich von meinem Va-ter mehr für das praktische Leben gelernt habe als durch das gesamte Studium. Der große Nachteil des enormen Vorteils des Prinzips, sich eigensinnig und eigenwillig zu verhalten, ist die Entwicklung einer Persönlichkeit, die ziemlich stark in sich zurückgezogen aus sich heraus, allzu oft, völlig überraschend für andere handelt. Das erweckt bisweilen durchaus einen ge-wissen Anschein von Selbstherrlichkeit und das Vorurteil, für einen Angeber gehalten zu werden. Ich kann das niemand verübeln, weiß ich doch selbst allzu gut, was ich von mir halte; ich befürchte sogar ein übersteigertes Selbstbewusstsein. So bilde ich mir ein, wahrhaft philosophieren, also das Denken zureichend reflektieren zu können. Ob das praktisch in etwa zutrifft, wird sich hier überprüfbar erweisen.
Eigensinn verlangt im wörtlichen Sinn zuerst die Bestimmung des zureichenden Grundes. Es drängt sich sofort auf, dass es sich um Neugier. Als Lust, Neues zu entdecken, erweist sich Entdeckungsfreude als natürlicher Antrieb, gleichsam eine Spielart des Grundbedürfnisses, sich zu verändern. Grund der Neugierde ist irgendeine Form von Langweile, unfähig zu ge-stalten. Um dem entrinnen zu können, muss Neugier mit Ein-fallsreichtum gepaart sein.
Da Kinder natürlicherweise über diese Paarung verfügen, können sie einer misslichen Situation spontan dadurch entrin-nen, dass sie spontan in eine andere Rolle schlüpfen. So wehrt sich ein erzieherisch unterdrücktes Kind als ein kriegerischer Indianer oder eine andere vergleichbar aggressive Spielfigur. So schlüpfte ich während der Lektüre der gleichnamigen Buchreihe gern in die Rolle des Dschungelboys Bomba.
Bomba hat es in der Handlung mit verschiedensten Gefahren und Abenteuern zu tun; Auslöser ist die Suche nach seinen Eltern, die ihn auf diverse Inseln und zu geheimnisumwitter-ten Städten führt. Dabei rettet er mal eine weiße Familie vor Kopfjägern, mal hilft er Forschern bei der Entdeckung einer Heilpflanze. In Afrika hat er es mit Pygmäen, Kannibalen und Urwaldkriegern zu tun; er hat mittlerweile seinen Vater ge-funden und möchte mit ihm in die „Neue Welt“ zurückkeh-ren.
Entdeckt hatte ich das Buch in der Jugendabteilung der Pfarrbücherei St. Josef. Da sich Bomba fast nackt durch den Dschungel bewegt, übernahm ich die Rolle vorzugsweise, wenn ich allein in der Wohnung war. Da ich dadurch meine Freude, nackt in der sonst hoch prüden Umgebung zu sein erlebte und dabei zugleich meine sexuelle Lust entdeckte, fas-zinierten mich die eigengebildeten Abenteuer im Dschungel. Erst später beschäftigte es mich, warum ich in diesen oder vergleichbaren Spielen immer derjenige sein musste, der bru-tal gewalttätig bestraft wurde. Es liegt nahe, dass der Verdacht auf sexuellen Missbrauch aufkam. Aber keine einzige Erinne-rung konnte mir den aufgekommenen Verdacht bestätigen.
Tatsächlich erlebe ich mich als trotzig, denn ich habe Schwie-rigkeiten, mich dem Willen anderer zu fügen. Noch heute ha-be ich Probleme, Ansichten anderer einzubeziehen. Das beste Beispiel hierfür ist doch das eigenwillige Reflektieren des Denkens. Warum muss ich das eigentlich unbedingt selbst herausfinden? Ich könnte ja die Geschichte der Philosophie Schritt für Schritt durchgehen, um das zu erfahren, was mir wichtig ist.
Irgendwie ärgert mich gerade dieses Gefühl von Arroganz. Ich empfinde das jedenfalls so. Aber die innere Stimme wi-derspricht und weist mich darauf hin, dass ich eher sehr kri-tisch als arrogant bin. So kann ich es nur sehr schwer ertra-gen, wenn ich etwas nicht verstehe. Genau dann werde ich nämlich stur und gebe nicht nach.
Ich erinnere mich an die ersten Philosophie-Vorlesungen von Professor Karl-Heinz Volkmann-Schluck. Intuitiv faszinierte mich die Trennschärfe seiner Sprache und die große Klarheit seiner Darstellungen. Dennoch fiel es mir sehr schwer, seinen Ausführungen so schnell zu folgen, dass ich sie auch verste-hen konnte.
Als ging ich nach einer Vorlesung zu ihm hin, um ihm meine Unzulänglichkeit, seine Gedanken hinreichend zu verstehen. Nachdem er sich das ruhig angehört hatte, stellte er mir eine höchst erstaunliche Frage: „Ja, aber haben Sie denn keine ei-genen Gedanken?“ Gemeint war, dass uneigene Gedanken durch eigene adaptiert werden müssen, um verstanden zu werden. Ich war erfreut über diese indirekte Bestätigung mei-ner Vorgehensweise. Diese Selbst-Bestätigung wird mittelbar zur Führungsgröße in Bezug auf die Regelung meiner späte-ren beruflichen Tätigkeit. So fiel in meinen Vorlesungen bis-weilen der Schlüsselsatz: „Meine einzige Aufgabe ist es, Euch aufzuwecken!“ Gemeint war die „schlafende Vernunft“. Für die Schulpädagogik bedeutet das: „Steuernde unterrichtlich Vorgaben minimieren – eigene unterrichtliche Initiativen ma-ximieren!“. Dieses Prinzip fand dann die Höchstform seiner Anwendung im Kinderunterricht. Kinder lernen zusammen, indem sie sich gemeinsam mittels professioneller Moderation lehren. Leider fehlte mir der lange Atem, das auch hinrei-chend zu veröffentlichen. Allerdings wurde das durch viele Staatsarbeiten dokumentiert. Die Anwendung des genannten Prinzips fand schließlich auch in Staatsprüfungen Anwendung. Es wurden keine Themen geprüft, sondern das angeschaut, was Kandidaten und Kandidatinnen von sich aus an Fähigkei-ten thematisierten. Zu meiner großen Überraschung fand die-se Verfahrensweise bei Vertretern der maßgeblichen Kultus-abteilungen ein sehr positives Echo.
In der beruflichen Praxis erwies sich als meine ´gewachsene´ Eigenwilligkeit also als außerordentlich hilfreich.
Dennoch, die Frage nach Grund und Ursache solch eigensin-nigen Verhaltens erweist sich nach wie zuvor als unbeantwor-tet. Aber auf Grund der Beschäftigung damit bringt die Erin-nerung etwas zum Vorschein, woran ich nicht gedacht habe. Es ist mein Vater, der aufgrund seiner Behinderung gelernt hatte, sich auf sich selbst verlassen zu müssen, wenn er nicht in Gefahr geraten will.
Das habe ich wohl unbewusst übernommen und mir zueigen gemacht. Überhaupt nehme ich an, dass ich von meinem Va-ter mehr für das praktische Leben gelernt habe als durch das gesamte Studium. Der große Nachteil des enormen Vorteils des Prinzips, sich eigensinnig und eigenwillig zu verhalten, ist die Entwicklung einer Persönlichkeit, die ziemlich stark in sich zurückgezogen aus sich heraus, allzu oft, völlig überraschend für andere handelt. Das erweckt bisweilen durchaus einen ge-wissen Anschein von Selbstherrlichkeit und das Vorurteil, für einen Angeber gehalten zu werden. Ich kann das niemand verübeln, weiß ich doch selbst allzu gut, was ich von mir halte; ich befürchte sogar ein übersteigertes Selbstbewusstsein. So bilde ich mir ein, wahrhaft philosophieren, also das Denken zureichend reflektieren zu können. Ob das praktisch in etwa zutrifft, wird sich hier überprüfbar erweisen.
Eigensinn verlangt im wörtlichen Sinn zuerst die Bestimmung des zureichenden Grundes. Es drängt sich sofort auf, dass es sich um Neugier. Als Lust, Neues zu entdecken, erweist sich Entdeckungsfreude als natürlicher Antrieb, gleichsam eine Spielart des Grundbedürfnisses, sich zu verändern. Grund der Neugierde ist irgendeine Form von Langweile, unfähig zu ge-stalten. Um dem entrinnen zu können, muss Neugier mit Ein-fallsreichtum gepaart sein.
Da Kinder natürlicherweise über diese Paarung verfügen, können sie einer misslichen Situation spontan dadurch entrin-nen, dass sie spontan in eine andere Rolle schlüpfen. So wehrt sich ein erzieherisch unterdrücktes Kind als ein kriegerischer Indianer oder eine andere vergleichbar aggressive Spielfigur. So schlüpfte ich während der Lektüre der gleichnamigen Buchreihe gern in die Rolle des Dschungelboys Bomba.
Bomba hat es in der Handlung mit verschiedensten Gefahren und Abenteuern zu tun; Auslöser ist die Suche nach seinen Eltern, die ihn auf diverse Inseln und zu geheimnisumwitter-ten Städten führt. Dabei rettet er mal eine weiße Familie vor Kopfjägern, mal hilft er Forschern bei der Entdeckung einer Heilpflanze. In Afrika hat er es mit Pygmäen, Kannibalen und Urwaldkriegern zu tun; er hat mittlerweile seinen Vater ge-funden und möchte mit ihm in die „Neue Welt“ zurückkeh-ren.
Entdeckt hatte ich das Buch in der Jugendabteilung der Pfarrbücherei St. Josef. Da sich Bomba fast nackt durch den Dschungel bewegt, übernahm ich die Rolle vorzugsweise, wenn ich allein in der Wohnung war. Da ich dadurch meine Freude, nackt in der sonst hoch prüden Umgebung zu sein erlebte und dabei zugleich meine sexuelle Lust entdeckte, fas-zinierten mich die eigengebildeten Abenteuer im Dschungel. Erst später beschäftigte es mich, warum ich in diesen oder vergleichbaren Spielen immer derjenige sein musste, der bru-tal gewalttätig bestraft wurde. Es liegt nahe, dass der Verdacht auf sexuellen Missbrauch aufkam. Aber keine einzige Erinne-rung konnte mir den aufgekommenen Verdacht bestätigen.
wfschmid - 20. Januar, 15:14
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